Japanische Lyrik der Kaiserzeit

In der kulturellen Entwicklung Japans lassen sich drei Epochen unterscheiden. Vor der Wandlung Japans zum modernen Industriestaat liegt die Zeit der Ritter, die Samuraizeit. Bevor die Ritter die Macht übernahmen, war die Zeit der großen Kaiser, die Zeit der Hofkultur, die vom 4. bis zum 12. Jhdt. n. Chr. dauerte. Diese Epoche der Hofkultur war die Blütezeit einer romantischen Lyrik. In dieser Zeit entstanden u.a. drei heute noch sehr bedeutende Gedichtsammlungen: Manyo-shu-, Kokinshu- und Shinkokinwakashu-. Im Liederzyklus "Sehnsucht nach dem alten Japan" wurden Gedichte aus diesen Sammelwerken als Textunterlage verwendet.

Diese Art traditioneller Gedichte heißen "Waka" und werden im allgemeinen nicht gelesen, sondern melodisch rezitiert. Eine "Waka" ist im Vergleich zu europäischen Gedichten kurz, sie wirkt wie eine Momentaufnahme, die aufblitzt und unwiederbringlich scheint, wie ein Bild. Mit wenigen Worten wird der ganze Inhalt eines Gedichtes - Stimmungen, Gefühle, u.s.w. - ausgedrückt.

Diese kurze Ausdrucksform verlangt vom Dichter starke Konzentration und innere Ruhe. Selbst wenn der Inhalt der Gedichte bewegend und aufwühlend ist, ist der Dichter durch diesen Stil gezwungen, seine innere Ruhe und Konzentration zu bewahren. Die populärste Form der Waka nennt man Tanka (Grundform: 5-7-5-7-7 Silben, mit Variationsmöglichkeiten). In Manyo-shu- kommen aber häufig auch längere Cho-ka (ausgesprochen wie "Tschoka") vor, eine Gedichtform, die später seltener geworden ist. Aus der Form des Tanka hat sich in der "Edo-Zeit" das noch kürzere "Haiku" entwickelt ( 5-7-5 ). Es ist in den letzten Jahrzehnten auch in Europa als Dichtungsgattung ein Begriff geworden.

In der Zeit der Hofkultur tauschte man untereinander gerne Gedichte aus. So schrieben einander etwa Mann und Frau Liebesbriefe in Gedichtform. Im Gegensatz zur brutalen, disiziplin-betonten Ritterzeit war diese Epoche durch eine ästhetische Welt von Eleganz und Romantik geprägt. Das Schönheitsideal der Frau in der "Heian-Zeit" war bis zum Boden reichendes langes Haar. Adelige Frauen trugen 12 Kleider übereinander, deren Farbe und Farbkombination symbolische Bedeutung hatte. Als Parfüm verwendete man Räucherwerk, dessen Duft die Liebeserinnerungen der Dichter weckte und zum Thema vieler Gedichte wurde.

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